Wenn sich eine Edition dann auch noch die Aufgabe stellte, den Dialog zwischen der bis vor wenigen Jahren von jeder Öffentlichkeit abgeschlossenen zeitgenössischen und nonkonformistischen Kunst Ost-Europas und dem Westen in Gang zu setzen, dann konnte man damit rechnen, daß noch weniger Aussicht auf eine auch nur halbwegs sichere ökonomische Basis gegeben war.
Eine solche Edition ist die Edition "aspei", und hinter ihr steckt - wie so oft bei Unternehmen dieser Art - ein einziger Kopf: Martin Hüttel, Schriftsteller, Slawist und Kunstliebhaber aus Bochum, der während seiner Zeit als Stipendiat in Moskau bereits in den frühen siebziger Jahren viele nonkonformistische Künstler kennengelernt hatte, für die er im Westen etwas tun sollte. Dieses Interesse traf sich mit eigenen schriftstellerischen Ambitionen und einer Lust am Buchobjekt, die wohl die unabdingbare Voraussetzung ist, wenn man sich auf ein Experiment einläßt, das von vorneherein keinerlei Aussicht hat, auch nur seine Kosten wieder einzuspielen.
Was 1985 mit dem ersten Heft begonnen wurde, hat sich mittlerweile zu 24 Editions-Objekten gemausert und wird jetzt im Offenbacher Klingspor-Museum erstmalig zusammen mit Bildern der beteiligten Künstler der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Hauch von Nostalgie liegt über dieser kleinen, präzise gestalteten und schön präsentierten Ausstellung. Bilder und Objekte aus den Privatsammlungen der beteiligten Künstler und Autoren umrahmen die Hefte der Edition, die ihren Charakter als Unikate, als Sammlerstücke in der Tradition der Editionen der siebziger Jahre bewahrten. Begonnen hatte alles mit den Moskauer Künstlern Eduard Steinberg, Wladimir Nemuchin, Wladimir Jankilewskij und Francisco Infante. Die Vorlagen ihrer Hefte mußten noch aus der Sowjetunion herausgeschmuggelt werden, ebenso wie die Bilder die als Illustrationen der Hefte nun in der Ausstellung aus den Privatsammlungen gezeigt werden.
Die Edition will nicht nur Information verbreiten und Kontakte knüpfen, sondern sie will den ästhetischen Dialog über kulturelle und politische Grenzen hinweg fördern und beleben. So sind auch Künstler der Nachkriegsgeneration, wie Andrej Monastyrskij, Sabine Hänsgen und Andrzej Kuczminski, vertreten, wobei vor allem der Pole Kuczminski durch seine Experimente mit außereuropäischen Schriften aus dem Japanischen und Chinesischen die Tradition der experimentellen Literatur und ihrer Verwurzelung in den graphischen Strukturen der Schrift fortsetzt. Man muß nur tief genug in die graphischen Strukturen von bildender Kunst und Schrift eintauchen, um sich auch solche ästhetische Traditionen zu erschließen, die in der eigenen Kunst keine beherrschende Rolle spielen.
Aber die Ausstellung der Edition zeigt noch etwas anderes: Die Generationssprünge, die vor allem in Ost-Europa durch die politische Situation noch radikaler ausgefallen sind als im Westen, lassen sich trotz gelegentlicher Radikalität auf gemeinsame Überzeugungen und Qualitätsstandards zurückführen. Der Dialog von "Literatur und Kunst zwischen Ost und West" ist immer dann problemlos, wenn man ihn von ideologischen Implikationen oder Belastungen freihält. Daß die frühen Hefte der Edition "aspei" noch wie ästhetische Flaschenpost wirken, läßt heute, da zwischen Ost und West auch im Bereich der Kunst und Kultur ein "free flow in information" durchgesetzt ist, die Erinnerung wach werden, wie undenkbar dies noch vor anderthalb Jahrzehnten erschien. Künstler wie Steinberg, Nemuchin, Jankilewskij und Infante gehören heute zu denjenigen Repräsentanten der "Zweiten Russischen Avantgarde", die sich mehr oder weniger international durchgesetzt haben.
Betrachtet man ihre ersten Auftritte auf der westdeutschen Bühne im Rahmen dieser kleinen Edition, so mag man eine Vorstellung davon bekommen, wie vieler individueller Einzelinitiativen und welchen Einsatzes es bedurft hatte, um überhaupt die ästhetische Flaschenpost an die Gestade des westlichen Kunstbetriebes zu spülen. Daß dieser sie nun endlich wahrgenommen hat, liegt allerdings an den veränderten politischen Verhältnissen. Martin Hüttel und seine Freunde können aber für sich in Anspruch nehmen, die Qualität dessen, was da hinter "dem Eisernen Vorhang" gedacht und gemacht wurde, schon frühzeitig erkannt zu haben. Die Ausstellung in Offenbach ist deshalb auch ein Stück Wiedergutmachung denen gegenüber, die einer Passion die Treue gehalten haben und an die Kunst Osteuropas glaubten, als selbst deren Produzenten oft resignierten.
HANS-PETER RIESE
Klingspor-Museum Offenbach bis 24. Mai. Katalog 35 Mark.
(in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 17. April 1999, Nr. 89, S. 46)